Reading List: „Jihadi Culture: The Art and Social Practices of Militant Islamists“

Lang erwartet und jetzt erschienen: Der norwegische Radikalislamismus-Experte Thomas Hegghammer hat seinen Sammelband veröffentlicht, in dem es um die Kultur von Dschihadisten geht. Darunter verstehen er und die Autoren signifikante Tätigkeiten und Artefakte, die ‚überflüssig‘ sind, d.h. nicht der militärischen Notwendigkeiten entsprechen.

Die Beiträge befassen sich in diesem Sinne u.a. mit jihadistischer Lyrik, visueller Kultur, Anashid (oder „Naschids“, die musiklosen Gesänge), Traumdeutung, Filme bzw. Video und materiellen Kultur.

Inwiefern erfüllen diese kulturellen Praxen und Produkte gleichwohl einen Zweck für die kladestinen Gemeinschaften, um die es Hegghammer geht (im Zentrum stehen Salafi-Jihadisten)? Zwei Hypothesen bietet er als Antwort in seiner Einführung (What is Jihadi Culture and Why Should We Study it?) an: Einmal ist das demonstrierte kulturelle Wissen und Handeln ein Signal für die Vertrauenswürdigkeit, lässt wahre innere Zugehörigkeit und persönliches Engagement erkennen. Zum anderen dienen die kulturellen Praxen und Produkte als Werkzeug emotionaler Persuasion. Hegghammer stellt denn auch die Frage in den Raum, ob nicht bisweilen weniger ideologische oder politische Inhalte und mehr ästehtische oder poetische in den Blick zu nehmen sind, will man Radikalisierungsprozesse verstehen.

Hierbei ist interessant, dass Hegghammer die kulturellen Zeugnisse und Tätigkeiten heuristisch dem Doktrinären gegenüberstellt (auf Überschneidungen und das Ineinanderlaufen beider Bereiche wird verwiesen). Interessant ist dies deshalb, weil hier durchaus als Verbindungsglied oder analytischer Rahmen die Rhetorik und ihre Konzepte (Pathos vs. Logos, etc.) fruchbar gemacht werden könnte bzw. spezieller der Begriff der Propaganda, der in der Einleitung keine sonderliche Rolle spielt, jedoch spielen könnte.

Da ich das Buch mit Blick auf unser Forschungsprojekt lese, sind darüber hinaus die zwei Einschränkungen sowohl schade wie ermutigend: Auch wenn die Texte durchaus auf aktuelle Entwicklungen eingehen und auch den „IS“ mitberücksichtigen, liegt der Fokus der Beiträge auf dem Zeitraum 1980er Jahre bis Ende der 2010er. Zweitens ist explizit die digitale Kultur von Dschihadisten ausgenommen. Da sich also unser Forschungsprojekt mit den Propaganda-Videos des IS (seit 2014) befasst und der digitalen Kultur, in der sie eingebettet sind (dies auch mit ethnografischen Methoden, für die Hegghammer plädiert), ist „Dschihadismus im Internet“ eine passende Ergänzung zum Buch und dem darin beworbenen thematischen Forschungsansatz – oder das Buch zu unserem Projekt.

 

Hegghammer, Thomas (Hg.): Jihadi Culture: The Art and Social Practices of Militant Islamists. Cambridge u.a.O.: Oxfort University Press 2017. Bei Amazon zu beziehen (und da Inhaltsverzeichnis einzusehen) HIER.