‚Linke‘ Videos gegen den G20-Gipfel

Jemand verwies mich auf ein Video mit dem Titel „WELCOME TO HELL – Hamburg 2017„. Am 21. Mai dieses Jahres ist es auf dem YouTube-Kanal „True Rebel Kanal“ eingestellt worden. YouTube gestattet den Zugang nur nach Anmeldung zwecks Altersnachweises, denn: „Dieses Video ist möglicherweie für einige Nutzer unangemessen.“ Es handelt sich um ein ordentliches, um nicht zu sagen: gut gemachtes Video. HipHop; der Sänger mit Sonnenbrille fährt im Wasserwerfer durch Hamburg, neben sich Gleichgesinnte in Sturmhauben (eine, kurz zu sehen, in Regenbogenfarben). „Komm nach Hamburg, mach Welle – Hass auf die Cops, hier ist die richtige Stelle“. Zwei Minuten dauert dieses Musikvideo zum vermummten Protest in der Hansestadt. Am Ende nochmal der nicht weiter erläuterte Aufruf als Einblendung: „Kommt nach Hamburg“, darunter das Datum: „6.-9. Juli.“

Ob sich damit schon jemand analytisch befasst habe, so die Frage. Ich kann das auf die Schnelle nicht beantworten, weiß aber: So einfach als „Propaganda“ zu rubrizieren ist das jedenfalls nicht. Es ist aber aufschlussreich, darüber nachzudenken, wieso bzw. inwiefern nicht (was ich an dieser Stelle nicht ausgiebig tun möchte). Es mag jedenfalls indoktrinatorische Filme auch von Links und auch im Umfeld des G20-Gipfels und der wie auch immer gerateten Demonstrationen dagegen geben. Bei aller Abgrenzungsschwierigkeiten und auch teils extremistischer Tendenzen aber: Sinnvoller ist hier – eingedenk des starken Kunst- und Ausdruckscharakters, des Spielerischen – von Videoaktivismus die Rede.  So, wie ihn das Projekt Bewegungsbilder 2.0 / Video Activism 2.0 von Britta Hartmann, Jens Eder und Chris Tedjasukmana versteht und untersucht.

Generell ruft das Lied zum auch krawalligen Protest auf, äußert sich wenig nett über Erdogan und Putin und über den Kapitalismus. Und immerhin ist es nicht gelöscht worden, doch es ließe sich schon – im Vergleich mit all dem, was bei YouTube ansonsten ungehemmt gesagt und gesungen werden darf –  diskutieren, ob es wirklich hinter eine Anmeldeschranke muss.

Ich klicke mich weiter durch einige Videos, die mir als Vorschläge am rechten Rand der YouTube-Seite angezeigt werden. Und schnell wird klar, dass hier eine Fülle an interessanten, teils hochprofessionellen Videos gibt, Elemente einer Ereignisgemeinschaft in einer Subkultur, die schon teils seit längerem auf den G20-Gipfel in Hamburg vorbereiten und „Agitation“ betreiben / zu „aktivieren“ suchen. Facettenreich, durchaus sinnlich angsprechend, oft generisch, aber durchdacht und bisweilen eingängig. „Fight G20! 7. & 8. Juli 2017 | Mobivideo“ von „Roter Aufbau Hamburg“ zeigt einen Mann im hellgrauen Kapuzenpulli von hinten, durch Hamburg laufen, langsame, drohlich-klagende Musik, sein Gesicht sieht man – natürlich – nicht (vielleicht ist er im Hauptberuf Hacker, die werden ja auch so auf Magazin-Covern- oder in Website-Stockbildern repräsentiert). Der Clip (und viele Video orientierten sich am Erlebnishaften, dem Musikvideo als Gattung) kommt ohne Worte aus, zeigt lediglich erschreckend alltägliche Schattenseite der Globalisierung und des sozialen Niedergangs inklusive seiner Institutionalisierung. Der Obdachlose auf der Straße oder – besonder prägnant – die Flaschen- und Dosenhalter an den Mülleimern, die es den Pfandsammlern ersparen sollen, zwischen dem Unrat suchen zu müssen. Der Kapuzenpulli betritt ein Sozialbauhaus; in einer runtergekommenen Wohnung betrachtete er die flimmernden Bilder samt Politikerstatements zum G20-Gipfel im Fernseher, die so gerahmt zur Absurdität oder aber zum reinen Zynismus werden. Dann schlägt er den Fernseher ein. Nicht aber mit Wut und Verve, wie es das abgenutzte visuelle Stereotyp verlangt, sondern – im Wissen ums Klischee und bei aller Zeitlupe – mit mehreren schwachen, fast ironisch klopfenden Schläge des roten Baseballschlägers gegen die Röhre des TV-Bildschirms.

Es ist ein immenses Maß an Selbstreflexivität und Selbstironie zwischen all dem Groll und dem Unmut der Anti-G20-Videonmacher feststellbare. Inklusive einer Professionalisierung, die selbst schon wieder  Bewerbungs- und Vermarktungskonventionen erfüllt, die Formate des globalen Marken- und Kulturkonsums, deren großen Systemrahmen man einerseits kritisiert, zugleich aber akzeptiert und bestätigt.

leftvision clips etwa hat am 30. Mai das eindrückliche Video „Against G20 Hamburg 6-9th July (feat. 100 Years October Revolution)“ hochgeladen. Hochwertig und mit Anklägen vor allen an die True-Detective-Titelsquenz attraktiv ästhetisch gestaltet, balanciert die Voice-Over-Botschaft zwischen Pathos (bzw. Sermon) und Sachlichkeit, klagt gegen Moloch Kapitalismus, gegen Ausbeutung und Entfremdung. Vor allem auf der Bildebene wird argumentativ nicht unklug und durchaus effektiv auf die russische Revolution 1917 verwiesen – ein historischer  symbolischer Deutungsbrückenschlag, der deshalb clever, auch ein bisschen verschmitzt gerät, weil er eine nicht bloß vage, sondern geschichtlich konkrete Option andeutet statt aufs bloße tumbe ‚Dagegen‘ oder moralische Emörung zu setzen. Zur Effektsteigerung ist das alles noch unterlegt mit einer Cover-Version des Pixies-Lieds „Where Is My Mind?“ von 1988. Der Song erlangte Ende der 1990er vor allem dadurch Berühmtheit und seine subversive Konnotation, weil ihn David Fincher für den Abspann des Spielfilms Fight Club verwendete – eine ’schizophrene‘ Geschichte, Klassiker des unzuverlässigen Erzählens, vor allem aber teils somnabule, teils fiebrige Story um den auch gewalthaften, (selbst-)zerstörerischen Protest von Männern gegen das domestizierende bzw. kastrierende Kommerz- und Konsum-Ummantelung, für die es im Alltag von der Ikea-Wohnung bis zum Großraumbüro keine Alternative gibt. Dieses Endlied setzt ein zum „romantischen“ Bild gesprengter, einstürzender Finanzhochhäuser. 1999 war das noch.

Solche Nutzbarmachung von popkulturellen Spielmaterial wie im leftvision-Video lässt sich als klug erachten, weil eine geteiltes Referenzsystem als eine Art schmückende lingua franca genutzt wird, über die man sich implizit verständigen kann oder mittels der zumindest Stimmungen zu induzieren sind. Andererseits ist das coole Erzählen vom radikalen Protest in Fight Club wie in anderen Filmen (etwa dem dahingehend fürchterlich unambitionierten The Matrix), die fürs Kino, für die DVD-Verwertung gemacht sind, zu hinterfagen als gemacht für den ‚kulturindustriellen‘ Verzehr, als wohlfeile, coole impfdosierte Ideologiekritik. Der Stilmittel für den authentischen Protest ist so betrachtet nicht nur eines aus zweiter Hand, sondern ein Produkt nicht zuletzt jener Unterhaltungswarenwelt, der etwa auch ein Präsident Trump entstammt oder die ‚Wölfe der Wall Street“.

Ganz besonders wird diese Zwickmühle des affirmativen Konterns wie der Professionalisierung des Authentischen, wenn eben dieses Pixies-Cover der Paper Thieves gesondert als „G20_protest trailer – Soundtrack“ zu finden ist. Gerade weil des hier nichts wirklich zu kaufen gibt: Der Gestus des Merchandising unterläuft das Bild des erhängten Lieferanten-Fahrer mit seinem Deliveroo-Würfelrucksack vor dem Apple-iMac selbst in seinem Effizienzdenken. Vielleicht ist aber auch das ironisch gemeint und gezielt entlarvend. Vielleicht spielt das aber auch keine Rolle mehr.

 

zyw