Vom Recht auf schlechte Werbung: Zur Türkei-Anzeige in der „Süddeutschen Zeitung“

Was ist Propaganda – und was nicht? Die Frage ist heikel, weil Propaganda kein unbelasteter Begriff ist. Schon länger arbeite ich an einem Beitrag daran . Weil es aber zuviele Formate und Plattformen gibt, für die ich ihn brauche, wird es noch eine Weile dauern.

Die Anzeige, die offiziell „The Union of Chambers and Commodity Exchanges of Turkey“ in der Süddeutschen Zeitung schaltete, und die jetzt für Aufregung sorgt (siehe HIER oder HIER), ist jedenfalls ein wenig strittiges Beispiel dafür. Allerdings wird hier auf diesem Blog „Propaganda“ als ein möglichst wertneutraler Begriff aufgefasst und entsprechend verwendet. Sehr kurz, vielleicht zu kurz gefasst, ist Propaganda eine bestimmte Art von Werbung: Ideelle Werbung. Es lässt sich auch politische, weltanschauliche und religiöse Werbung dazu sagen – oder kurz: ideologische (wobei „Ideologie“ selbst wieder ein heikler Terminus ist).

Ideelle Werbung ist laut Rundfunkstaatsvertrag (§ 7, Abs. 9 – PDF hier) im Rundfunk verboten. Nicht aber in Zeitungen (die übrigen Grenzen des Zulässigen berücksichtigend – z.B. keine Werbung für eine verbotene Vereinigung).

„Sieg der Demokratie über den Terror“ – so die Überschrift der strittigen Anzeige; das ist die Botschaft und eine klare politische und politisierende Deutung des Putschversuchs in der Türkei vor einem Jahr. Sie wirkt nicht nur provozierend, sondern gar höhnisch hierzulande, diese Anzeige, angesichts des besorgniserregenden Staatsumbaus des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den Ausnahmezuständen und den wegen des formalen Verdachts der Terrorismusunterstützung inhaftierten (nicht zuletzt eben: Zeitungs-)Journalisten wie u.a. Deniz Yücel. 

Prinzipiell darf die Zeitung natürlich eine solche Anzeige veröffentlichen. Allerdings schadet die Anzeigenabteilung damit dem eigenen Unternehmen“ – so befindet Stefan Winterbauer auf meedia.de. Und das Terrorismus offiziell gern mal als Vorwand herhält, um unbequeme Ansichten und Stimmen zu unterdrücken oder Menschen wegzusperren, ist auch keine Neuigkeit.

Fast aber kann man froh sein, dass hier Propaganda so eindeutig und mithin als bequemes Fallbeispiel (auch zum Zwecke des moralischen [Ab-]Urteils) der geschalteten, bezahlten Werbung daherkommt. Die Linien sind hier klar gezogen; eine Anzeigefläche wurde ge- und vor allem: verkauft.

Weitaus unbequemer sind freilich die Grenz- und Grau-Fälle, in denen die Deutung eines zeithistorischen Geschehens eben auch durchaus ideell oder ideologisch geschieht, nur eben „legitim“ und inhaltlich-redaktionell.

Ein Beispiel, an das ich mich persönlich dabei direkt erinnere, ist das der jährlichen Feier des indischen „Märtyrers“ Bhagat Singh in der indischen Presse. Ich habe vor sieben Jahren dazu einen Beitrag auf meinem Blog Terrorismus & Film geschrieben.

Aber auch andere, weit weniger gravierende und als solche weitgehend unhinterfragte, teils implizite weltanschauliche, religiöse oder politische Sichtweisen finden sich, auch hierzulande. Wir übersehen sie aber – oder erachten sie aber nicht als propagandistisch bzw. ideologisch – weil wir mit ihnen d’accord gehen. Propaganda kann auch, wie u.a. Jacques Ellul erkannte, gesamtgesellschaftlich integrativ daherkommen.

Freilich: Ein Artikel etwa, der tatsächlich auch einmal die Sichtweise von Erdoğan und seinen Anhängern bzw. denjenigen, die dieselbe Auffassung teilen (die etwa doch nicht die Gülen-Bewegung allein als Vorwand für einen Staatsstreich von oben beschreiben wie Maximillians Popps Beitrag auf Spiegel-Online) ist freilich etwas anderes, tatsächlich auch aushaltbarer und legitimer als eine Werbeanzeige wie jene in der SZ.

Oder etwa nicht?

Darüber grundsätzlich nachzudenken, lohnt, den es führt gedanklich nicht nur an die Grenzen dessen, was wir in der öffentlichen Diskussion Medien als Institutionen an Freiheiten und Aufgaben zugestehen wollen: Es rührt auch an Fundamentalfragen wie dem Vertrauen in die Resilienz gegen mal geschicktere, mal plumpere, mal als solche konzipierte, mal ungewollt so daherkommende Beeinflussung von Leserinnen und Lesern, Zuschauerinnen und Zuschauern.

Jenseits davon und auch jenseits des Symbolcharakters, der heute scheinbar viel zu eilfertig Empörungszündfläche ist, kann man die nationalistische Jubel-Seite aber auch aus einem viel banaleren Grund nicht gut finden: Weil sie schlicht in ihrem chauvinistischen Triumph schlicht schlechter Stil ist. Das allerdings ist wieder nicht unbedingt die Schuld der SZ. Auch Werbung zum Fremdschämen hat so ihr eigenes Recht, geschaltet zu werden, wenn ordentlich dafür bezahlt wird (so auch in in diese Richtung argumentiert der SZ-Geschäftsführer Stefan Hilscher). Schlimmer wird es (und ist es), wenn die Grenzen eben nicht mehr so klar beachtet werden.