Mainzer Publizistik-Studie: Facebook wenig relevant für politische Meinungsbildung, eher für Einschätzung des Meinungsklimas

Prof. Dr. Birgit Stark vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat zusammen mit den IfP-Mitarbeiter*Innen Dr. Melanie Magin und Pascal Jürgens den Ergebnisbericht einer empirischen Studie zur „Bedeutung der sogenannten Informationsintermediäre für die Meinungsbildung“ vorgelegt. Unter „Informationsmediäre“ sind in erster Linie Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen zu verstehen, die zwischen Nutzer*innen und Inhalten vermitteln.

Auf Basis des dreiteiligen Designs aus Tagebuchstudie, Tracking (Aufzeichnung der Internetnutzung) und Auswertung der Diskussionen in einer geschlossenen Market Research Online Community lassen sich viele, gar „klassisch“ zu nennende Befürchtungen angesichts der Sozialen Netzwerke und vor allem Facebook nicht bestätigen: Bei allen Algorithmen ist etwa ihr Einfluss auf die Themensetzung gering und eine Publikumsfragmentierung nicht zu beobachten. Vor allem das persönliche Gespräch sowie die Offline-Medien bleiben für die Wissensvermittlung (gefühlt) vorrangig – Facebook gilt weitgehend als „oberflächliche Nachrichtenquelle“ und dient primär zum sozialen Austausch.

Die Gefahr der „Filterblase“ sehen die Autor*innen nicht gegeben, allerdings: „Dass die Effekte von Facebook weniger stark als befürchtet sind, gibt aber keinesfalls Grund zur Entwarnung, denn sie sind messbar und werden ansteigen, sobald personalisierte Nachrichtenquellen weiter an Relevanz gewinnen bzw. klassische Vermittler von Nachrichten schwächer werden“ (S. 187).

Dabei geht es aber weniger um die Informationen und ihre Auswahl, denn am höchsten sei die „Manipulationsgefahr in Bezug auf die Wahrnehmung des Meinungsklimas […]:
So zeigt sich das Wirkungspotenzial sozialer Netzwerkplattformen wie Facebook am stärksten in der Einschätzung des Meinungsklimas und damit auch bei der Vorstellung von sozialer Realität im Allgemeinen. Die Befunde der Studie verweisen hier auf mögliche affektive Polarisierungseffekte, die themenspezifisch auftreten und durch die Aufmerksamkeitssteuerung klassischer Medien verstärkt werden können. Diese greifen wiederum solche Themen auf, die dadurch in der Öffentlichkeit gewaltige Resonanz erfahren. In kürzester Zeit werden diese moralisch aufgeladenen Themen in die öffentliche Debatte gebracht, verlieren umgekehrt aber genauso rasch wieder an Bedeutung – was in Bezug auf Facebook auf eher kurzfristige Wirkungseffekte schließen lässt“ (S. 188).

Entsprechend scheinen die Auffassungen von Stimmungsverrohung und die Tendenz zur Emotionalisierung und Moralisierung gestützt:

„[O]ffensichtlich schafft die charakteristische Kommunikationssituation auf Facebook ein Diskussionsklima, das zu einer bestimmten (verzerrten) Wahrnehmung des Meinungsklimas führt“ (S. 185). Und: „Statt zu einer idealtypischen rational-kritischen Debatte kommt es zu moralisch und emotional aufgeladenen Diskussionen, die sich in Empörungswellen niederschlagen. Das niedrige Niveau politischer Diskussionen auf Facebook schreckt deshalb bestimmte Nutzergruppen, insbesondere solche mit einer gemäßigteren Meinung, davon ab, sich überhaupt an Diskussionen zu beteiligen, senkt also ihre Artikulationsbereitschaft maßgeblich. Somit setzt mit hoher Wahrscheinlichkeit die von den Online-Community-Teilnehmern beschriebene Negativspirale ein“ (ebd.).

Die Untersuchung Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung – Eine Mehrmethodenstudie am Beispiel von Facebook untermauert damit einige, relativiert hingegen andere wichtige, im sozialen, medienkulturellen und -politischen Diskurs gut eingeübte bzw. viel beschworene Risiken des Web 2.0 (vor allem jene durch die Intermediäre als Agenda-Setting- und Gatekeeper-Instanzen). Ob sie aber wirklich an der gefühlten Wahrheit und Popularität dieser Sichtweisen (gar Vorurteile) viel ändern können, ist allerdings fraglich. Zu lieb gewonnen, als Erklärung und Begründung zweckmäßig, eingägig und konsensuell sind die Vorstellung von der Filterbubble oder die Gefahren durch propagandistische Social Bots und Fake News.

Dessen ungeachtet liefert die Studie nicht nur wichtige empirische Erkenntnisse: Sie bietet ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie Online-Forschung konzipierbar ist und  welche möglichen Methoden dafür zum Einsatz kommen können.

Der ausführliche 260-Seiten-Bericht zur Untersuchung, die in Kooperation von Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen und dem Mainzer Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz entstand, kann HIER in Druckform bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.

 

Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung – Eine Mehrmethodenstudie am Beispiel von Facebook

Birgit Stark, Melanie Magin, Pascal Jürgens. LfM, 2017. 260 Seiten. ISBN 978-3-940929-44-0   (LfM-Dokumentation, Band 55)