In der Reihe „Essay und Diskurs“ bietet der Deutschlandfunk ein lohnenswertes Essay des britischen Roman und Sachbuchautor John Lancester. In „Du bist das Produkt“ nimmt dieser sich Sozialen Netzwerken und vor allem Facebook an, wobei im Zentrum steht dessen zugrundeliegende Geschäfts- als Gesellschaftslogik steht.
Lancaster zeichnet Facebook wie seinen Begründer Mark Zuckerberg als nicht besonders sympathisch und bietet damit wenig Neues. Der Konzern mit dem großen F und zwei Milliarden Menschen als Kunden (die in Wahrheit ja das Produkt sind), sei ein ein Unternehmen ohne moralischen Kompass, eines, „dessen grundsätzliche Prämisse misanthropisch“ sei und das „keinen finanziellen Vorteil davon hat, die Wahrheit zu sagen„. Entsprechend hat Facebook nichts gegen Fake-News und ermögliche es (nicht nur:) russischen Propandisten (sondern gar:) Donald Trump zur US-Präsidentschaft mit zu verhelfen.
Auch Mark Zuckerberg sei gar nicht der soziale Autist mit traurig-banaler Backstory-Wound (eine Liebesabfuhr), wie es/ihn David Fincher und Aaron Sorkin im Film THE SOCIAL NETWORK (2010) darstellen und erklären.
„Zuckerbergs Motivation hat nichts mit dieser Sorte von Feld-,Wald- und Wiesenpsychologie zu tun. Er tut es, weil er es tun kann und Rechtfertigungen à la ‚Verbundenheit‘ und ‚Gemeinschaft‘ sind nachträgliche Rationalisierungen. Sein Antrieb ist einfacher und grundlegender. Deshalb ist der Wachstumstrieb so wesentlich für den Konzern, der in vielerlei Hinsicht mehr mit einem Virus als einem Unternehmen gemein hat. Wachsen und Vervielfältigen und Profitieren. Weshalb? Es gibt kein Weshalb. (Nur ein) deshalb.“
Bei allem Pessimismus und Grusel („Ich habe Angst vor Facebook„) ist das aber flott geschrieben und gedankenreich verassoziiert. Mehr noch aber erscheinen die Sozialen Netwerke und eben besonders Facebook nicht nur allein als Moloch und Großer Bruder, Parasit oder „Virus„, sondern, so scheint es bei Lawrence immer wieder hindurch, ein soziokultureller Katalysator. Als solche bringen sie zwar die Umwälzung nicht nur in den Kommunikationsformen, sondern auch der Kommunikationshandlungsfunktionen hervor. Doch diese ist bereits gesellschaftshistorisch angelegt. Wenn Facebook seine Nutzer als Aufmerksamkeitsware an (auch politische) Werbetreibende verkaufen kann, kann es dies nur in einer Zeit und in einem System, das diese Art von Produkt-Status überhaupt erst vorbereit oder anderweitig bereits realisiert hat.
Es ist denn auch ein wenig ironisch, dass dieser Beitrag in „Essay und Diskurse“ – der HIER nachzulesen ist oder auch als Audiopodcast zweiteilig (HIER und HIER) sowie in voller Länge (HIER, ca. 56 Min.) noch bis 30.04.2018 vorliegt – u.a. auf die gestohlene Inhalte und Urheberrechtsverletzungen zu sprechen kommt, mit denen Facebook, YouTube und Co. Geld verdienen. Selbst aber wird (bei aller unbezweifelt erfolgter, ordentlichen Rechteanfrage und -vergütung) nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Text um eine Zweitverwertung handelt: Lawrence Buchkritik für die London Review of Books zu den Veröffentlichungen, die auf der Deutschlandfunk-Seite ebenfalls, als „zitierte Literatur“ genannt sind:
Tim Wu: „The Attention Merchants: From the Daily Newspaper to Social Media, How Our Time and Attention Is Harvested and Sold“
Atlantic, 416 Seiten, ISBN 978 1 78239 482 2
Antonio García Martínez: „Chaos Monkeys: Inside the Silicon Valley Money Machine“
Ebury, 528 Seiten, ISBN 978 1 78503 455 8
Jonathan Taplin: „Move Fast and Break Things: How Facebook, Google and Amazon have Cornered Culture and What It Means for All of Us“
Macmillan, 320 Seiten, ISBN 978 1 5098 4769 3