von Kathrin Fahlenbrach
Der nachfolgende Text entstand auf Basis des Transkripts des Impulsvortrags von Prof. Dr. Kathrin Fahlenbrach, Universität Hamburg. Sie hielt ihn am 27. September 2018 auf dem Workshop-Panel „Propaganda und Medienwissenschaft“ der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) in Siegen.
Der Beitrag ist Teil unseres Schwerpunkts Propaganda & Medienwissenschaft.
Auch wenn ich mich in meiner Forschung nicht dezidiert mit dem Propagandabegriff befasst habe, finde ich es gerade in der heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation wichtig, dass wir uns in der Medienwissenschaft damit auseinandersetzen.
Ich möchte den von Bernd Zywietz gegebenen Überblick zum Propagandabegriff nicht ergänzen – es ist wohl auch nicht sinnvoll, sich an den Begriffen aufzuhalten, darüber waren wir uns auch im Vorfeld sicher. Aber ich würde gerne zwei kurze Arbeitsbegriffe – ich habe das Minimalunterscheidung genannt – hier erwähnen, die sich an einschlägige Übersichten wie jener von Thymian Bussemer (2008) orientieren. In diesen wird von Propaganda im engen und Propaganda im weiten Sinne gesprochen. Ich habe das ein wenig umgewandelt und unterscheide hier „starke Propaganda“ von „schwacher“.
Erstere ist eben wirkungsstark und kann eigentlich nur in einem autoritären oder totalitären System funktionieren oder voll ausgeprägt gefunden werden. Eines, in dem die öffentlichen Infrastrukturen wie die der Medien quasi gleichgeschaltet sind. Die entsprechenden Propagandatechniken lassen sich darin weiter unterscheiden je nach rhetorischen Mitteln, Bildstrategien oder dem jeweiligen gezielten Einsatz der unterschiedlichen Medien.
Dem gegenüber finden wir die „(wirkungs)schwache Propaganda“, eine Art des Beeinflussens, von der auch ausgegangen wird, dass sie in der modernen Welt ubiquitär sei, weil sie in Werbung, in PR-Arbeit, aber auch der Strategischen Kommunikation ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure vorzufinden ist. Es ist die Frage, ob man hierbei tatsächlich von Propaganda sprechen soll – und ich denke, dass dies genau der Punkt ist, über den wir hier sprechen, weil wir uns in einer Situation in unserem Land und unserem Kontext befinden, in dem wir unter demokratischen Bedingungen kommunizieren. Das heißt also, starke Propaganda ist hier nicht (oder – mit Blick auf die deutsche Vergangenheit: noch nicht wieder) in dieser Form möglich. Vielleicht aber zeichnet sich hierzu eine Gegentendenz ab.
Natürlich gibt es Überschneidungen zwischen schwacher und starker Propaganda. Sie verwenden ähnliche rhetorische Mittel und Bildstrategien sowie die gleichen medialen Infrastrukturen.
Die Frage war und ist nun, inwiefern wir heute mit dem Propagandabegriff arbeiten können, der ja sehr pejorativ belegt ist. Wann macht es Sinn, ihn auch in unserer Forschung zu verwenden und müssen wir ihn vielleicht auch Stückweit reaktivieren?
In meiner Arbeit in der Protestforschung ist er zunächst gekoppelt an die Erforschung von starker Propaganda in autoritären politischen Systemen wie dem Nationalsozialismus – und als solche wird sie natürlich auch von liberalen, emanzipativen und antiautoritär geprägten Bewegungen, vor allem ab den 1960er Jahren, abgelehnt. Insofern ist es naheliegend, dass der Propagandabegriff in diesem ursprünglichen oder starken Sinne auch in der Protestforschung sehr wenig Verwendung gefunden hat. Gleichwohl haben wir uns natürlich durchaus im weiteren Sinne mit Propaganda beschäftigt, wenn es darum ging, inwieweit sich Bewegungsorganisationen, NGOs und Aktivist*innen quasi professioneller PR-Mechanismen bedienen. Entsprechend sprechen wir in dem Zusammenhang eher von „Public Relations“, und es lässt sich natürlich diskutieren, ob dies nicht schon als „schwache Propaganda“ bezeichnet werden kann.
Hier allerdings doch einige Punkte als Unterscheidungsvorschläge, die mir sinnvoll erscheinen.
Generell spreche ich hier von liberalen, emanzipativen NGOs. Diese zielen zwar auf die Änderung handlungsrelevanter Einstellungen großer Gruppen ab, ruhen dabei aber letztlich auf konsensuellen Grundwerten innerhalb der Gesellschaft auf. Das heißt, ihnen geht es nicht wie vielen autoritären Bewegungen darum, auch die Grundwerte der Gesellschaft komplett umzukodieren, sondern es geht um so etwas wie soziales historisches Verantwortungsbewusstsein, Mitleid, auch sicherlich – wenn man an die Ökologiebewegung denkt – eine gewisse Form wertkonservativer Grundhaltung, etwa die Erhaltung der Natur. Hierbei wird in der PR ein Spannungsfeld zwischen dem Alltagshandeln und den Grundwerten aufgemacht, wobei an letztere appelliert wird. Es sind also keine revolutionären Bewegungen, sondern solche, die auf Basis eines bestehenden Wertekonsenses Alltagshandeln verändern möchten. Dafür werden gerne schwache Propagandatechniken eingesetzt.
Der Unterschied zur starken Propaganda wäre hier dann zudem, dass diese Mittel oder die Ansinnen nicht verschleiert werden. Die Ziele liegen offen dar und werden auch in der Regel von NGOs wie Greenpeace von expliziter Aufklärungsarbeit, dem Einsatz von Expertenwissen u.Ä. flankiert. Insofern stehen sie sozusagen durchaus noch im Anspruch einer Ideologiekritik, die Propaganda nicht in diesem strikt autoritären und manipulativen Sinne verwenden möchte.
Was wäre nun vor dem Hintergrund meiner Forschungsinteressen Aspekte, die mich auch medienwissenschaftlich zu untersuchen interessieren. Ein Punkt wäre aus meiner Sicht die Frage nach der Resemiotisierung von Ikonografien als aktivistischer Propagandatechnik. Also: „Inwieweit nutzen soziale Bewegungen, aber auch vereinzelte Aktivistinnen und Aktivisten kollektives Bildwissen, tradierte Ikonografien, um zur Vermittlung aktivistischer Botschaften umzudeuten oder neu zu framen?“ Dieses Re-Framing ist schließlich als eine wichtige Propagandatechnik aufzufassen. Ich denke dabei an wiederkehrende Bildmuster, Motive, Schlagbilder (Diers 1997) und Medienikonen (Fahlenbrach 2013b; 2013a). Indem man diese aufgreift, lassen sich im Bildgedächtnis verankerte Assoziationen und Konnotationen aufrufen und mit den aktivistischen Botschaften neu- oder rekodieren. In diesem Zuge kann denotatives Bildwissen entweder konnotativ variiert oder auch gänzlich umgedeutet werden. Das ist ein Zug, der auch in nicht- oder anti-liberalen Bewegungen heute massiv genutzt wird, wobei es tatsächlich mit darum geht, die zugrundeliegenden kulturellen Bildgrammatiken zu rekodieren, ganz in der Tradition der sogenannten Kommunikationsguerilla seit den 1960er Jahren (Völlinger 2010; Eco 2007 (1987)).
Ein solches Beispiel, dass sich auch insofern für die Diskussion anbietet, als hier ein Bild aus der US-amerikanischen Kriegspropaganda von 1942 genutzt wird, um in der feministischen Bewegung die Empowerment-Botschaft („We can do it“) mit feministisch-emanzipativem Appell semantisch neu zu kodieren. Also eine komplette Resemantisierung derselben Ikonografie, die hier stattfindet.
Abb. 2-4: Strategische Resemiotisierung von Ikonografien – Von Kriegspropaganda zu feministischem und anti-rassistischem Appell
Ein anderes Beispiel von Greenpeace, bei dem ebenfalls bekannte Medienikonen aufgegriffen werden und die auch mit Revolution und (auch popkulturellem) „Rebellentum“ verbunden sind. Sie werden ersetzt durch Jedermannspersonen, die in der Erscheinungsform dieser Idole auftreten. Der Kampf für eine neue Gesellschaft oder für ein neues Lebensgefühl wird mit dem um die Erhaltung der Natur assoziiert.
Abb. 5-6: Strategische Resemiotisierung von Ikonografien: Mitgliederwerbung von Greenpeace, Chile (2007)
Was gerade im Zeitalter des Netzaktivismus immer wichtiger wird, ist Adbusting: Auch hier werden tradierte Ikonografien oder Markenerscheinungsformen, allerdings speziell aus dem Bereich der Werbung, aufgegriffen und neu geframed.
Ich glaube, dass dies Formen von PR oder Propaganda im „schwachen“ Sinne sind, die in emanzipativen Bewegungen sehr verbreitet sind. Allerdings stellt sich mit Blick auf die jüngere Entwicklung die Frage, inwiefern auch anti-liberalen Bewegungen sich solcher Techniken bedienen.
Meine These wäre, dass so etwas wie ein „Re-Entry“ ikonografischer Resemiotisierung (im Stil der Kommunikationsguerilla) durch solche anti-liberale Bewegungen stattfindet – rechts-populistische, aber auch radikal-islamistische, wobei ich dies nicht unbedingt politisch festmachen möchte oder nur insofern, als derartige Gruppierungen bestehende liberale Grundhaltung rückgängig machen möchten. Es geht also tatsächlich um das Aufbrechen eines gesellschaftlichen Grundkonsenses, z.B. ein plurales Gesellschaftsmodell oder die Emanzipation von Minderheiten.
Die Frage, die wir nun diskutieren können, ist, inwieweit in diesem Kontext eine Entwicklungstendenz hin zu starker Propaganda stattfindet oder auszumachen ist. Etwa wenn wir uns anschauen, wie rechtpopulistische Bewegungen gegen die öffentlichen Medien und den Meinungspluralismus agieren und gleichzeitig bewegungsnahe Medien aufbauen, die – das wäre meine These – im Sinne „starker Propaganda“ ideologisierend eingesetzt werden. Ein aus medienwissenschaftlicher Sicht wichtiges Thema ist, wie dabei auch links geprägte, liberale Kommunikationsguerilla-Strategien, Motive und Ikonografien genutzt werden.
Interessant ist beispielsweise, wie Die Identitären und die Konservative Subversive Aktion sich ganz gezielt der Protestformen der 1968er-Bewegungen (und was danach kam) bedient (Grefe 2010). Zu nennen ist beispielsweise eine Aktion, der KSA im Jahr 2008, in der diese einen 68er-Kongress an der Humboldt-Universität sponti-mäßig störte und in einer Plakat-Aktion die Ikonen der 68er-Bewegung auf Plakaten als Massenmörder ausgeflaggt haben. Gleichwohl vereinnahmen sie die entsprechende Motivik für sich: Hier auf dem T-Shirt mit Götz Kubitschek, einem der großen Wortführer der neuen Rechten in Deutschland, der als „Che Guevara“ gefeiert wird. Eine andere performative Aktion der Identitären im Sommer 2017 war „Defend Europe“, in der, ähnlich wie bei Greenpeace, mit einem Schiff über das Meer gezogen sind, um – etwa vor der libyschen Küste – Flüchtlinge abzufangen.
Die Fragen, die sich für mich daraus ergeben, sind:
- Rückt mit dem Erfolg solcher anti-liberaler Bewegungen die Bedeutung starker Propaganda wieder in den Vordergrund?
- Welche Infrastrukturen bietet gegebenenfalls das Netz, die sich im Sinne starker Propaganda kontrollieren und steuern lassen?
- Werden dadurch auch in demokratischen Systemen Voraussetzungen für starke Propaganda geschaffen?
- Welche tradierten Propagandatechniken und Medienstrategien werden von anti-liberalen Akteuren eingesetzt?
- Wie werden liberale Ikonografien und Semantiken resemiotisiert?
- Und sind diese „missbrauchten“ Protestformen in liberalen Bewegungen eigentlich noch zu verwenden – oder sind sie immunisiert oder entwertet für den Protest?
Das ist für mich eine ganz wichtige Frage.
Vielen Dank.
Literaturverzeichnis
Bussemer, Thymian (2008): Propaganda. Konzepte und Theorien. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.
Diers, Michael (1997): Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main: Fischer.
Eco, Umberto (2007 (1987)): Für eine semiologische Guerilla. In: ders.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. 8. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 146–156.
Fahlenbrach, Kathrin (2013a): Medienikonen und Schlüsselbilder der Revolte um 1968. Ein diachroner Blick auf Akteure und Strukturen der Ikonisierung. In: Annelie Ramsbrock, Annette Vowinckel und Malte Zierenberg (Hg.): Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung. Göttingen: Wallstein Verlag, S. 102–126.
Fahlenbrach, Kathrin (2013b): Medienikonen. Bildhistorische und wahrnehmungsästhetische Aspekte. In: Martin Sabrow (Hg.): Die Macht der Bilder. Leipzig: AVA, S. 111–129.
Grefe, Till (2010): Zu heiß im Kopf. An Aktionen nach dem Vorbild der Kommunikationsguerilla versucht sich Götz Kubitscheks »Konservativ Subversive Aktion«. (…). In: Jungle.world, 21.01.2010. Online verfügbar unter https://jungle.world/artikel/2010/03/zu-heiss-im-kopf, zuletzt geprüft am 04.12.2018.
Völlinger, Andreas (2010): Im Zeichen des Marktes. Culture Jamming, Kommunikationsguerilla und subkultureller Protest gegen die Logo-Welt der Konsumgesellschaft. Marburg: Tectum.