Satire und Aufmerksamkeitspolitik: Zu Uwe Wirths Text „Was kann die Satire? Und was kann sie nicht?“

Prof. Dr. Uwe Wirth hat nicht nur wichtige Sammelbände mit Grundlagentexten etwas zu „Performanz“ oder „Kulturwissenschaft“ herausgegeben oder das bei J.B. Metzler vergangenes Jahr erschienene interdisziplinäre Handbuch zur Komik: Für Geschichte der Gegenwart hat er nun einen Beitrag über DIE PARTEI verfasst sowie zur Frage, was Satire (eben nicht nur darf, sondern:) kann.

Für meine Arbeit ist das spannend, weil zum einen meine Buchreihe bei Springer VS „Aktivismus- und Propagandaforschung“ heißt und die Frage nach dem Leistungsvermögen sowie den politischen und gesellschaftlichen Formaten von Satire nicht zuletzt wichtig für digitalen Aktivismus, seine Formen und Wirkungsweisen ist – selbst wenn der Aktivismus selbst nicht satirisch angelegt ist oder sein will.

Zum anderen tritt – wie ich in meine Beitrag über Fake News in dem von Klaus Sachs-Hombach und mir herausgegebenen Band zur Populistischen Propaganda ausführe – Online-Propaganda heute gerne als satirisch oder eben ironisch, also als uneigentlich (unangreifbar) und (schein-)kritisch auf. Das Problem ist somit, dass es, wie im Falle von Fake News, gar nicht um die Faktenvermittlung geht. Folglich kann auch nicht einfach mit „der Wahrheit“ oder anderen Gegenmeinungen gekontert werden. Das Sprachspiel des Ironisch-Satirischen, wie es in vielen Web-Communities und -Kulturen gepflegt wird, das gemeinsame (durchaus auch mit Empörung und Menschenverachtung untermischte) Lachen oder wenigstens Augenzwinkern: das ist zu verstehen als zentraler Gestus, als Bestandteile eines für die ideologische Gemeinschaftsbildung und -stärkung enorm wichtigen phatischen Moments.

Dementsprechend stelle ich (mir) in meinem erwähnten Text an einer Stelle die Frage, inwiefern Satire (und nicht eben nur Parodie oder Persiflage) per se aufklärerisch ist, selbst wenn sie sich vereinnahmen lässt. Oder kann es doch so etwas wie eine genuin „rechte“ oder „linke“ Satire gebe?

Im Text selbst kann ich dieser Frage nicht weiter nachgehen, aber Wirth spricht sie aus einer anderen Perspektive nun in seinem Beitrag an. Entsprechend erlaube ich mir hier ein längeres Zitat, dass ich selbst um den Hinweis ergänzen möchte, dass hier eine von Wirth aufgemachte historische Sichtweise auf Satire und ihrer Praxis sich ausblenden ließe, um stärker auf das systematische oder grundsätzliche Vermögen von Satire zu fokussieren. Selbst wenn dann der Web-Kulturraum als Klangkammer, Verstehens- oder Referenzrahmen  (den satirische Ironie als Wahrnehmungsmodus stets mit sich führt) wieder einzurechnen ist:

Aber gibt es nicht auch in der Satire eine lange Tradi­tion, poli­ti­sches Handeln von einer Posi­tion her kritisch zu hinter­fragen, die außer­halb der Politik liegt? Eine Posi­tion, die analog zur Kunst ‚frei‘ ist von allen Zwängen, es ‚besser zu machen‘ (oder über­haupt etwas zu machen); eine Posi­tion, die bewusst außer­halb des poli­ti­schen Systems ange­sie­delt ist, um nicht vom System konta­mi­niert zu werden: um sich nicht die Finger schmutzig zu machen; um keine inter­es­se­ge­lei­tete Kritik an Poli­ti­kern und Poli­tiken zu üben, sondern sich in den Stand zu versetzen, gewis­ser­maßen reine Kritik an den Zuständen üben zu können.

Diese Haltung, auf die man sich seit der Aufklä­rung und ihrer Indienst­nahme der Satire als pole­mi­sches Werk­zeug der Gesell­schafts­kritik gern beruft, ist in den letzten Jahr­zehnten zuneh­mend unglaub­würdig geworden. Zum einen, weil wir den Sati­ri­kern nicht mehr glauben, dass sie wirk­lich eine ‚quasi-transzendentale‘ Posi­tion der Gesell­schafts­kritik außer­halb des Systems einnehmen können; zum anderen, weil wir grund­sätz­lich nicht mehr glauben, dass sich durch sati­ri­sche Gesell­schafts­kritik unser Gesell­schafts­system über­haupt verän­dern ließe.

Und so ist es eigent­lich kein Wunder, dass an die Stelle der offenen sati­ri­schen Kritik im Kaba­rett­format die sati­ri­sche Subver­sion getreten ist: die verdeckte, ‚indi­rekte Aggres­sion‘. Subver­sion, verstanden als ‚Gegen­macht‘ (Antonio Negri), die im Rahmen der bestehenden gesell­schaft­li­chen Zustände im Modus der Schein-Affirmation operiert – mit dem Ziel, zu provo­zieren und Unsi­cher­heit zu erzeugen.

Für die Frage nach dem heutigen Verhältnis von Satire und Aktivismus bedeutet das nun, dass es weniger darum geht, wie viel Satire in Aktivismus steckt, sondern dass „echte“ Satire, die von Relevanz sein möchte, aktivistisch ist (oder sein muss). Wie Wirth schreibt: „Diese für unsere Medi­en­ge­sell­schaft re-konfigurierte Form der Satire ist nicht mehr primär an der Kritik inter­es­siert, sondern vor allem an der Erzeu­gung von Aufmerk­sam­keit. Die sati­ri­sche Stra­tegie besteht in einer perfor­ma­tiven Geste, die auf gesell­schaft­liche Zustände deutet, die man an sich selbst fest­stellt.“

Gerade diese performative Geste ist interessant, verweist sie doch auf den performativen Modus des Dokumentarischen, wie ihn Bill Nichols etwa in seinem (vergangenes Jahr in der dritten Auflage erschienenen) Grundlagenwerk Introduction to Documentary neben etwas dem beobachtenden oder expositorischen (also quasi autoritativen) Welt(vermittlungs)bezug beschreibt. „Performativ“ heißt hier, wie bei DER PARTEI oder in den Filmen eines Michael Moore oder Morgan Spurlock, dass die Künstler*innen, Sprecher*innen oder Filmemacher*innen sich inhärent zum Ausgangspunkt und Gegenstand der (ja auch stets rhetorisch zu verstehend) Inszenierung machen.

Ganz richtig bemerkt denn auch Wirth, dass Satire durchaus gesell­schaft­liche Zustände verän­dern kann – „zumin­dest solange diese gesell­schaft­li­chen Zustände das Terrain der Gesetz­ge­bung oder den medialen Raum der Konfi­gu­ra­tion von Aufmerk­sam­keit betreffen.

Mithin gilt:

Wer poli­ti­sche Inhalte kommu­ni­zieren – oder über­winden… – will, muss zual­ler­erst wissen, wie Aufmerk­sam­keit erzeugt wird. Womit indi­rekt aller­dings zugleich darauf hinge­wiesen ist, was die Satire nicht kann, nämlich sich den Gesetzen der Aufmerk­sam­keits­öko­nomie zu entziehen“ (ebd.).

Das ist nun ein bemerkenswerter Schluss, weil er eine Ambivalenz markiert, die Beschwerden über öffentliche TV- und Netz-Satire ( z.B. Jan Fleischerhauer auf Spiegel Online in Sachen Jan Böhmermann) explizit oder implizit grundiert. Bei Licht besehen läuft dieser kritisierte und/oder zum künstlerischen Stil-Prinzip erhobene, schnell erschöpfte Gegensatz zwischen inhaltlicher Attacke und metasprachlichem Rückzug aufs Unverbindliche (Böhmermanns „Ist ja alles nur Spaß“) und Gemachte (Böhmermanns „Wir sind ja eh nur eine irrelevantes Medienphänomen“) auf einen halb-banalen Widerspruch hinaus: Jenem zwischen

a) dem trivialen Umstand, dass Satire (ebenso wie Propaganda) ja nur wirken kann, wenn sie gehört wird oder „ankommt“ (weil sie schlicht, wie Propaganda, zunächst nur eine Form der Kommunikation ist), und

b) dem verwunderlichen Fakt, dass dieser triviale Umstand so wenig in der Praxis und deren Einschätzung berücksichtigt wird.

Es mögen denn auch Medien- und Kommunikationsphilosophen in der Art der Zen-Buddhisten darüber sinnieren, ob der Satire-Baum im öffentlich-medialen Raum ein Geräusch beim Umfallen macht, wenn niemand da ist, der es/ihn hört. Doch letztendlich ist die einzige Wirkung der Satire immer – eben weil es sich um Satire handelt – eine der Aktivierung, der Inspirierung und der Mobilisierung. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Bedingung für einen (intendierten) Effekt ist also die Aufmerksamkeit des Publikums. Darüber hinaus kann Satire nur da eine politische Wirkung entfalten, wo a) Meinungs- und Empfindungsmacht potenziell in die des Handelns umschlägt (agitatorischer Aktivismus) oder b) Meinungs- und Empfindungsmacht von relevanten Instanzen mit Handlungsmacht gleichgesetzt wird. Das begründet das tatsächlich sehr komplizierte Verhältnis zwischen Satire im Kontext von totalitären Diktatoren und ideologischen Extremismen.

Propaganda, übrigens, hat mehr Möglichkeiten, weil sie – neben dem moralisch-emotionalen – auch den handfesten Zwang im Sinne einer politischen, juristischen oder epistemologischen (also z.B. die Gewalt des „Faktischen“ fundierten) Drohung, die meist auch eine verführerische ist, setzen kann.

Jan Böhmermann – um zum Beispiel zurückzukommen – ist sich mehr als andere (oder: „echte“) Satiriker dieser Macht wie zugleich Machtlosigkeit (oder dem Simulationsstatus der Veränderungspotenz) bewusst. Er thematisiert sie im ständigen Variieren und Changieren verschiedener modaler Darstellungszustände und Verhältnisse zum Gegenstand seiner Sprache: ernst/unernst, eigentlich/uneigentlich, affirmativ/oppositionell, diegetisch/referenziell etc.

Die Hauptfrustration, die nicht nur das Feuilleton umtreibt, ist aber – und das touchiert Wirth in seinem Beitrag ja auch – eine einfache oder vereinfachte Zweiteilung:

a) Satire wie die der Anstalt (ZDF), einer Sendung, die als Nachfolge von Dieter Hildebrandts institutionellem „Scheibenwischer“ so politisch ernst und wirkmächtig sein kann wie kulturell ernst und wirkmächtig Kunst im Museum.

b) Satire wir Böhmermanns Neo Magazin Royale, die gar nicht mal so viel sarkastischer oder „frecher“, mehr „meta“ und/oder strukturell und pragmatisch subversiver auftritt. Dies auch bei aller Verhöhnung der Kommunikationsakte und Formate statt des Inhalts und seiner Ideologie – selbst dann, wenn es ziel-, haltungs- und richtungsbewusst gegen Rechts geht. Sie ist lediglich offener, ernster, gar resignierter im eigenen Nachdenken darüber, was Satire kann oder eben nicht. Das zeigt sich unter anderem darin, dass Böhmermann weniger die Frage selbst stellt oder beantwortet als ausagiert: was das Versprechen im Sinne der emotionalen, affektiven Gratifikation von Satire ist und sein sollte.

Denn Satire kann und konnte als Gattungsform nur überleben und einen eigenen soziokulturellen Status als Gattungsetikett behaupten, weil sie eine simple Art von Spannungsdramaturgie anbietet und verheißt. Es ist der Wechsel zwischen dem Vor-Augen-Stellen von politischem, ökonomischen und gesellschaftlichen Unangenehmen und dem entlastendem Lächerlich-Machen, das leider bisweilen ins Abschweifende geht oder gehen muss, um das Publikum zu halten.

Ein Paradebeispiel für solches empörerisches Anklagen plus Entlastungsscherz ist John Olivers dahingehend sehr schematisch gewordene Sendung Last Week Tonight auf HBO. Statt mit Entsetzen Scherz zu treiben, wird Entsetzen mit Scherz entschärft, das ist ein uraltes Bewältigungsprinzip. Und es ist in der Satire auch nicht per se unproduktiv. Zumindest, solange der Gestus der Entlarvung dabei beibehalten und geachtet wird, und sei es auf selbstreferenzieller Ebene. Wie eben bei Böhmermann, wo es sich allerdings ab und an zu schnell in der koketten Behauptung der eigenen Irrelevanz und Inkompetenz erschöpft.

Wenn aber (wie bei zumindest früher in der ZDF-„heute-show“ zu beobachten) „Satire“ nur mehr  pennälerhaftes Abarbeiten an Äußerlichkeiten von Machtausüber*innen (Merkels Mundwinkel etc.), nicht aber an Positionen und Ambitionen oder gar Strukturen, ist, gerät dies schnell affirmativ in der Wirkung: ‚Seht her, mehr als das Stottern, das Dick-Sein oder lustige Physiognomie lässt sich bei uns nicht finden und angreifen‘. Von anderem Kaliber ist da schon, AfD-Mann Björn Höcke postfaktisch konsequent falsch als „Bernd“ zu benamen.

Nun finden ZDF Neo Magazin Royale wie Die Anstalt im Fernsehen und Internet statt, beides sind jedenfalls „Inhalte“ – und Martin Sonneborns DIE PARTEI?

Wirth beschreibt, wie es der Spaß- oder Satire-PARTEI als „echte Partei“ innerhalb des Parlamentssystems gelingt, den Finger in die systemische, prozessuale Wunden zu legen. Sie agiert (überspitzt) aus und prangert damit Missstände dort an, wo sie entstehend oder stattfinden. Und, so legt Wirth dar, sie prangert sie an, indem sie sie überspitzt auslebt, sie überernst nimmt und sie damit grell sichtbar macht. DIE PARTEI spielt ihr Spiel im „echten“ politbetrieblichen Umfeld.

Das aber tun Böhmermann und Co. auf ihre Weise auch, insofern doch politische Meinungsbildung und mithin Meinung in den Medien erfolgt oder sich dort realisiert. Auch die DIE PARTEI führt ihre Akte ja nicht nur vor, sondern auch für die Kameras auf, und sei es nur die des Parlamentsfernsehens. So wäre es ehrlicher und passender, denn auch gleich statt von (oder parallel zur) „Aufmerksamkeitsökonomie“ von der „Aufmerksamkeitspolitik“ zu sprechen, der die Satire nicht entkommen kann und die sie somit idealerweise gleich selbst zu ihrem Gegenstand macht.

Vielleicht ist die Antwort auf die Frage zwischen dem Verhältnis von Aktivismus und Satire also doch einfacher, wenn auch konservativer:

Satire ist – nach wie vor – in erster Linie medientextuell und kommunikativ-generisch, Aktivismus hingegen performativ (i.S.v. Performance) in den sozialen Räumen und Rollen.

Satirisch ist Aktivismus, wenn er (z.B. generische) Darstellungsskripte für sich nutzt, aktivistisch ist Satire, wenn es ihr um die Aufführungssituationen und -räume geht. Sei es, was das Geschehen vor der Kamera betrifft, sei es, was das Handeln (damit auch die „Sendungsaufzeichnung“ als Produkt gewordenes Handeln) in seiner Darbietung anbelangt.

Wenn dann der Akt der Medialisierung oder die Aufführung im Studio (statt im Parlament oder sonstwo in der der „Realität“) als prinzipiell anderes und als werthierarchisch geringer empfunden wird, ist das eher entlarvend für die entsprechende Einordnungsinstanz.

zyw