Live und uneigentlich. Zur Einordnung der Medialität des Christchurch-Terroranschlags und seines Täters

So sehr der Anschlag von Christchurch schockiert und überwältigt: es zeigt sich an ihm, wie auch der radikalste Alltags- und Zivilisationsbruch solcher politischen Gewalt bestimmten Verarbeitungsroutinen unterliegt. Dies gilt nicht nur für Politiker, sondern auch, was journalistische Medien betrifft, die sich an Nachrichtenfaktoren und -werten orientieren, dabei ja auch soziale und kulturelle Funktionen erfüllen.

Neben der Berichterstattung selbst hat sich etwas etabliert, dass ich „moralischen Meta-Kommentar“ nennen möchte: die kulturkritische selbstreflexive Betrachtung und Bewertung des Umgangs der Medienöffentlichkeit mit dem terroristischen Ereignis sowie dessen medialer Verfasstheit an sich. Auch in diesen Texten finden sich wiederkehrende Muster als vorgefasstes Repertoire. Man könnte hier in Anlehnung an die Rhetorik von topoi, sprechen, von Allgemeinplätzen oder – nach Aristoteles – allgemein akzeptierten „wahrscheinlichen Sätzen“, die als Deutungsrahmungen fungieren. Mit ihnen wird mal trauriger und resignierter, mal empörter und appellhafter aus der Vogelperspektive Sinn gestiftet und geurteilt.

Ein solcher topos ist der Vorwurf, „die Medien“ ließen sich von Terroristen instrumentalisieren, bereiteten ihnen eine Bühne, seien somit immer auch ein wenig mitschuldig. Dieser Vorwurf durchzieht die gesamte Geschichte des Terrorismus. Die Kritik an einem inhärenten Sensationalismus der Presse, des Rundfunks und des Internets ist dabei häufig mitzudenken.

Ein anderer, ebenfalls recht alter moralischer topos stellt in diesem Kontext der der inhumanen Instrumentalisierung der Opfer durch die Täter dar (man denke an Kants Zweck-Mittel-Verbot). Neueren Datums ist dagegen die Rede vom Internet als unkontrollierbarem, un- oder amoralischem Gefahrenraum sowie die von den frei flottierenden „bösen Bildern“, denen man ebenfalls machtlos gegenübersteht.

Arno Franks Meta-Kommentar auf Spiegel-Online (Titel: „Wir schauen nicht weg“) ruft etwa diese Muster bei seiner Beschäftigung mit dem Christchurch-Anschlag und der damit verbundenen medialen Missstände auf. Der Hintergrund: der Täter hat das Massaker live auf Facebook gestreamt, mit einer Action-Cam am Helm, die wie in einem „First-Person-Shooter“-Computerspiel das Geschehen über den Lauf des Sturmgewehrs aus der subjektiven Perspektive des Täters präsentiert.

Knapp siebzehn Minuten lang ist die Aufnahme , sie wurde aufgezeichnet oder heruntergeladen und kursiert im Netz, natürlich auch, nachdem das Soziale Netzwerk sie längst gelöscht hat. Bemühungen, sie von den verschiedenen Plattformen des Internets zu verbannen und Aufrufe der Polizei, das oder die Videos – sprich: die Kopien als die individuellen User-Aufzeichnungen der Aufzeichnungen – nicht weiterzuverbreiten, dürften von mäßigem Erfolg sein. Frank: „Eine Zensur ist nicht möglich, eine mächtigere Waffe im ‚Krieg der Bilder‘ nicht denkbar“.

Allerdings ist ein solches Bemühen nicht nichts. Sei es, weil aufgrund des Drucks damit Normalanwender, die derartige Bilder nicht gezielt aufspüren wollen, doch nicht so ohne Weiteres mit ihnen in Kontakt kommen. Sei es, weil es ein wichtiges Zeichen setzt: „Nein, diese Art von Videoaufnahmen sind nicht normal und wir tolerieren sie auch nicht.“ Gerade weil, angeblich, im Netz alles zu finden ist, ist ein derartiges Signal zur sozialen moralischen Orientierung unabdingbar.

Franks wie andere Meinungsstücke tragen dazu ihren Teil bei. Aber sie laufen Gefahr, selbst ein wenig das zu tun, was sie anderen anlasten, denn das Kommentar-Äquivalent zum Sensationalismus ist der (eben stets moralische, digital schnell entfesselte) Skandalismus. Dies selbst wenn er gemäßigt auftritt und übergreifende strukturelle oder historische Verfehlungen bzw. Fehlentwicklungen ausmacht, ohne individuellen personalen Einzelfall als Gegenstand der Verurteilung und Empörung oder diesen nur als Aufhänger nutzend.

Daran ist an sich noch nichts Schlimmes. Problematisch wird es, wenn die Beobachtungen, Analysen und Schlüsse auf wackligem Grund stehen und in die Irre führen (oder einer moralischen Panik zuarbeiten). Das ist vor allem dann heikel, wenn es um die Motive des Täters geht oder die Frage „wie es dazu hat kommen können“ (ergo: welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um „so etwas“ künftig zu verhindern) – aber auch, was das Verhältnis von Täter und Publikum betrifft und die Rolle der Medien in dieser Beziehung.

Das fängt mit der Diagnose der „Neuheit“ an. Sicher, für den historischen, vor allem kulturhistorischen Blick hat es alles, irgendwie, schon einmal gegeben. Doch auch unabhängig davon ist Franks Beobachtung einer aktuellen terroristischen Eskalation zu hinterfragen: Opfer seien in Neuseeland (wie die Passagiere der gekaperten Flüge des 11. September 2001) nur „noch Komparsen in der Inszenierung eines Schreckens, der seine Wucht aus möglichst gewaltigen Bildern“ (Frank) beziehe. Entsprechend sei die Bezeichnung Attentat auch falsch, insofern nicht bestimmte Repräsentanten (z.B. Regierungshäupter) als solche Ziele wurden.

So angemessen solche großen und weitgreifenden Worte der Verstörungsdimension der perfiden Tat in Neuseeland sind, sie übersehen, dass auch im 19. und 20. Jahrhundert schon die „Taktiken“ Attentat, Geiselnahme und Massaker als indiskriminierendes Töten parallel vorkamen und keine Stufenfolge darstellen. Man denke etwa an die Bombenanschläge der IRA in England oder die Untaten auf verschiedenen Seiten der Kolonialbefreiungskämpfe (z.B. in Algerien). Dass diese nicht für Live-Videoaufnahmen geschah, ist nun nicht nur trivial, weil es damals GoPro-Kameras oder das Internet noch nicht gab. Es räumt auch dem Faktor Bild einen zu hohen Stellenwert ein oder bleibt, diesen betreffend, allzu unspezifisch.

Den Anarchisten, Nationalisten oder Faschisten ging es immer schon Bilder, seien es Fotos der Folgen bzw. der Tatorte, früher Zeichnungen der Ereignisse in der Presse oder solche, die Worte in den Köpfen der Menschen evozieren. So weit gefasst, wird die Rede vom Bild allerdings schnell unergiebig – was unterschiede hier Terrorismus von anderen Formen des ideologischen Aktivismus und der politischen Inszenierung? Frank bringt dies selbst auf:

Wirkmächtig waren diese Bilder schon immer. Bilder von der Ermordung Caesars, dem Fenstersturz von Prag oder der Badewanne des Jean Paul Marat existierten zwar nur in den Köpfen der Zeitgenossen oder Nachgeborenen. Dort aber wirkten sie, wie später auch die medial vermittelten, aber schon echten und auch bewegten Bilder vom offenen Lincoln in Dallas, Anwar as-Sadat im Kugelhagel seiner Tribüne in Kairo oder dem zertrümmerten Mercedes des Alfred Herrhausen.“

Was also ist jetzt neu? Es ist laut Franks Gedankenführung die Kombination dreier Faktoren oder Elemente: a) der unterschiedslosen (Massen-)Ermordung, b) um davon „echte“ Bilder zu machen und global in Echtzeit zu verbreiten, was c) heute, dank der Technik, Einzelpersonen vermögen bzw. tun.

Diese Konstellation ist sicher bemerkenswert. Sie besagt aber auch nicht viel bzw. ist zu relativieren.

Zunächst wird hier mit dem „Medien“-Begriff einmal mehr Medieninstitution und Medientechnik vermischt. Das ist, in Sachen Ermöglichung, ein altes inhärentes Problem der Digitalisierung. Besonders was das „Social Web“ betrifft, fehlt es hier noch an einem soziokulturellen und politischen bewältigenden Verständnis. Die Frage, wie das partizipative Netz, das alte Gewissheiten über Medienmacht und Öffentlichkeit über Bord geworfen hat ist nun aber keine speziell des Terrorismus – sie tritt an ihm nur besonders gravierend zutage. Wie Aktivisten oder Künstler, aber auch wie Kriminelle und ganz gewöhnliche Privatpersonen haben Terroristen seit jeher jene Medientechniken und -formate für sich und ihre Zwecke genutzt, die ihnen zur Verfügung standen: von der Druckerpresse und den Fotoapparat über die Film- und Videokamera (man denke an die RAF-Aufnahmen von Hanns Martin Schleyer) bis heutzutage Facebook, Twitter oder dem Imageboard-Website 8chan, die noch ungezügeltere Version von 4chan.

Das Potenzial von extremistischen Gewalttätern und Ideologen schreitet folglich unweigerlich mit der technischen Entwicklung voran. Gleiches gilt übrigens für die (auch private) Berichterstattung der citizen journalists oder schlicht von Augenzeugen. Deren Visualisierungsgeschichte lässt sich ebenfalls entlang einzelner Terroranschläge erzählen: London, 7. Juli 2005 und Handyfotoaufnahme der Passagiere im U-Bahn-Schacht. Paris, 13. November 2015 und Livestream-Berichte über den Dienst Periscope. Gerade was letzteres betrifft, war der Einsatz von Echtzeitvideos durch die Mörder selbst nicht nur schon absehbar: Ahmed Coulibaly, der am 9. Januar 2015 den jüdischen Supermarkt in Ost-Paris stürmte, trug dabei angeblich bereits eine GoPro. Und der Islamist, der in Magnanville am 13. Juni 2016 einen Polizisten tötete, übertrug die Tat bereits live auf Facebook.

Gewichtiger scheint denn auch die Frage, die Frank implizit aufwirft (hinsichtlich des unterstellten Kalküls der Christchurch-Täters): Wie sehr sind die – nun dezidiert technischen bzw. digitalen – Bilder Hauptziel der Attacke?

Neu ist, dass die eigentlichen Opfer im Grunde zweitrangig sind. Es muss sie geben. Sie haben Namen, Geschichten, Angehörige. Und doch sind sie, so zynisch das klingt, im Kalkül der Täter nur Abrieb – der beim Versuch entsteht, die Kraft der Bilder auf die Straße und damit in den globalen Umlauf zu bringen. Für den Politologen Herfried Münkler ‚stellt der Terrorismus eine Form der Kriegsführung dar, in welcher der Kampf mit Waffen als Antriebsrad für den eigentlichen Kampf mit Bildern fungiert‘.“

Wie erwähnt ist die Zweitrangigkeit der Opfer im Terrorismus überhaupt keine Innovation, auch nicht im „gestreamte[n] Ein-Mann-Massaker eines ideologischen Influencers“ (Frank). In Münklers Zitat selbst ist entsprechen ja erst einmal nur allgemein von Terrorismus die Rede. Es taugt also nicht als Beleg für einen spezifischen neumodischen image war.

Es steht natürlich außer Frage, dass nun Bilder in ihrem digitalen Aggregatzustand eine neue Kraft entfalten, sich ablösen von den einordnenden Texten und Quellen, zur Verfügungsmasse und zum Spielmaterial werden, einfach bearbeitet und zigfach vervielfältigt werden. Trotzdem sollte sie nicht überbewertet werden, was auch heißt, ihnen kein poetisch überhöhtes Eigenleben anzudichten. Zum einen, weil die Dekontextualisierung in den Sozialen Netzwerken und die Überfülle an schockierenden Aufnahmen die strategische und ideologische Wirkung (wie den „Impact“ überhaupt) womöglich eher abschwächt als verstärkt. Zum anderen bedeutet die digitale Verflüssigung der pictures – sowie die prinzipielle Skepsis gerade unter Jugendlichen ob ihrer Manipuliertheit oder ihrer möglichen Fakeness –, dass sie wider den terroristischen Sinn umgedeutet und umge- bzw. verarbeitet werden, etwa in Internet-Memen.

Ein Beispiel dazu findet sich auf Reddit: Mit der kommentierenden Überschrift „4 hours are enough time, I think“ (im Sinne eines wahlweise menschenverachtenden, gedankenlosen oder extrem schwarzhumorigen „vier Stunden Rücksicht oder Pietät sollten reichen“) wurde ein Standbild aus dem Christchurch-Streamingvideo mit dem Statusbalken des Ego-Shooters Doom versehen:

 

 

Was Medien- und Kulturkritiker als schockierende wie pointierte Einsicht einmal mehr verbreiten (die visuelle Parallele zwischen Spiel und Terrorbildern, die dann diffus für irgendetwas steht und selten wirklich weiter durchdacht wird), das entdeckt stets ironische, sarkastische und oft eben zynische Netz als Gag für sich neu. Das Feiern eines Mordanschlags als politische Aktion sieht anders aus.

Natürlich gab es auch eine solches, Lob und Zuspruch – ebenso wie das Anschlagsvideo in islamistischen Telegram-Kanälen schnell als Beleg aufgegriffen und die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen wurden – z.B., dass man sich nun bewaffnen müsse. Einmal mehr spielten sich so Extremisten beider Lager die Bälle zu.

Dank Livestream sind terroristische Täter nun nicht nur in ihrer (Selbst-)Inszenierung und der Massenverbreitung ihrer AV-Botschaften frei von den Filtern und Torwächtern massenmedialer Institutionen wie Zeitungs- und Fernsehredaktionen, sondern auch was die Echtzeitübertragung anbelangt. Mit dem Live-Charakter der Münchner Olympia-Geiselnahme 1972, die eine terrorismusfernsehgeschichtliche Zäsur darstellt, ist dies allerdings nicht zu vergleichen. Generell stellt sich die Frage, welche auch affektive und semiotische Bedeutung „live“ in der heutigen Welt der programmindividualisierten, asynchronen und fragmentierten Rezeption noch hat.

Eine größere Herausforderung – auch für die moralischen Meta-Kommentatoren – scheint mir der Christchurch-Täter mit seinem medialen Handeln eher in anderer Hinsicht zu sein: als Teil einer globalen Web-Kultur, in der Ernst und Scherz in Ausgestaltung und Inhalt häufig ununterscheidbar geworden sind oder gar ganz in Misch- und Meta-Formen quasi dialektisch aufgehoben (überwunden und geborgen) sind. In dem Zusammenhang etabliert sich gerade der Begriff „pseudironisch“, der ein noch stärker auszuarbeiten ist (und bei dem aufzupassen ist, dass mit ihm nicht jede zynische Provokations- und Gag-Geschmacklosigkeit pauschal unter (Rechts-)Extremismus- und Toxic-Masculinity-Verdacht gestellt wird). Robert Evans hat jedenfalls auf Bellingcat herausgearbeitet: Wie der Täter fließend die Sprache der einschlägigen Communitys sprach: Blödsinn und Sarkasmus, mit Memen und Anspielungen bzw. Insider-Witzen. Vor allem: mit einem aktiven Wissen um mediale Muster und Konventionen, die selbst auf der xten Meta-Ebene ironisch mitreflektiert sind und zum Gegenstand werden.

Ein Beispiel findet sich in seinem Manifest „The Great Replacement“: Darin gibt es eine Art Frequently Asked Questions (FAQ)-Sektion, typische Fragen der Öffentlichkeit an den terroristischen Einzeltäter, die hier vorab beantwortet sind – wobei tendenziell eher ernstzunehmende Ausführungen zu Ansichten und ideologischem Gedankengut unvermittelt in Sarkasmus und Nonsens umschlagen, die sich über die Klischees der Motive und Radikaliserungsverläufe lustig macht:


“Were you taught violence and extremism by video games,music,literature,cinema?

Yes, Spyro the dragon 3 taught me ethno-nationalism. Fortnite trained me to be a killer and to floss on the corpses of my enemies.

No.“


Was ist folglich von den übrigen Ausführungen für bare Münze zu nehmen? Im Extremfall muss da alles als Shitposting, mithin als phatisches (sprich gemeinschaftsstiftendes und -signalisierendes), rein rhetorisches Spiel mit Zeichen und Zeichenoberfläche betrachtet werden. „The ultimate goal is to derail productive discussion and distract readers” (Evan).

In erster Linie ist der Täter – bei allen rassistischen Thesen und Selbstbeschreibungen – ein terroristische Troll. Wenn er schreibt, die rechtskonservative Aktivistin Candice Owens hätte ihn mehr als alle andere beeinflusst (eine Aussage, nach der übrigens Spyro the Dragon als sein Lehrer des Ethnonationalimus genannt wird), dann sollte man sich seine gehässige Freude (und nicht nur seine) vorstellen, wenn sich die Radikalisierungsinterpreten beflissen darauf stürzen, um herauszufinden, wie er wohl „tickt“.

Und wenn er auf dem Weg zum Anschlagsort im Auto den Song Serbia Strong hörte, bringt dies nicht unbedingt (oder gerade nicht) seine rechtsextreme Gesinnung zum Ausdruck. Dieses Lied bzw. das Video dazu ist ein musikalischer patriotischer Tribut an Radovan Karadžić von 2008. Das Video wurde jedoch – das gehört mit erwähnt – wegen seiner (bewussten?) qualitativen Minderwertigkeit bzw. (un-?) gewollten Komik zum Mem, gefeiert und verulkt bzw. parodiert. Anders als die Schwarze Sonne auf dem Cover der 70-seitigen PDF-Einlassungen oder sonstige Szene-Symbole und -Marker (oder vielleicht sogar auch diese) funktionieren derartige (pseudo-)ironiekulturelle „Zeichen“ in der Hauptsache anders: als symptomatische Ausweise einer ganz fundamentalen zynisch-postmodernen Geistes- bzw. Welthaltung, die unbekümmert neben oder jenseits der „ernstgemeinten“ pathetischen Anliegen (hier eines behaupteten rassistischen Abwehrkampfs und dem verbreiteten Austausch-Narrativ) existiert. „Die Grenzen zwischen tabubruchbasiertem Trollhumor und menschverachtendem Zynismus sind dort kaum auszumachen“, so Christian Stöcker auf Spiegel-Online treffend.

Genau dieser ambivalente Modus eines digital-kulturellen „Camp“, die augenzwinkernde Verehrung des/als Blödsinn scheint die letzte übriggebliebene legitime und verstandene Form der Hochachtung in den extremen Kreisen von 8chan und anderer Foren darzustellen. Das muss mitberücksichtigt werden für die Einordnung des Täters vom 15. März und wahrscheinlich kommender, bei aller muslimfeindlicher und rassistischer Rhetorik bzw. Symbolik. Und sei es nur, um auf sie und die Spuren, die sie legen, nicht hereinzufallen. Bereits bei Amokläufern und ihrem Web-Fandom spielt dieser sarkastische Inszenierungs- und Selbstreferenzialitätsaspekt eine wichtige Rolle. 

Die passenden medien-moralischen Deutungs- und Bewertungsschemata fehlen dafür offenbar noch. Sie werden sich jenseits kluger und notwendiger Kontextualisierungen wie die von Christian Stöcker, die freilich eine etwas andere Textgattung darstellen (man könnte sie mit Adi Robertson „anthropological dives into reactionary horror“ nennen), absehbar wohl auch nicht wirklich ausbilden und etablieren können. Dies etwa, weil die ironische zitathafte Umwendung mit ihren vielfachen Anführungszeichen immer darauf angelegt ist, sie und ihre topoi einzuholen und zu überholen. Vielleicht aber sollte es auch gar nicht das Ziel sein, sich auf dasselbe Spiel einzulassen. Zumal: „[A]fter a point, it’s tiresome to constantly hear the same revelation about how we need to understand white male rage — when it feels as though that’s all we talk about.“

Dann allerdings braucht es andere Mittel und Wege.

 

Bernd Zywietz

bearbeitet: 17.03.2019, 14:08 Uhr